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erz​ä​hlen

by Gisela Horat Trio

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1.
Unterwegs 03:10
2.
3.
4.
5.
Mutter 05:49
6.
Einsamkeit 03:17
7.
Atemlos 02:22
8.
9.
Leben 04:38
10.
Waldgeist 23:10

about

Erzählen - Eine kurze Entstehungsgeschichte

Eine Geschichte zu erzählen, die Zuhörenden zu ergreifen, ihre Fantasie anzuregen, ist mir ein Anliegen. So gesehen ist das neuste Werk des Gisela Horat Trios einfach ein Weiterentwickeln und ein Vorwärtsgehen mit bereits Vorhandenem.
Meine erste Idee bestand darin, Märchen zu vertonen. So habe ich darüber nachgedacht, welches Märchen mich gefühlsmässig sehr direkt anspricht und habe mich für «Hänsel und Gretel» der Gebrüder Grimm entschieden. Ich wollte nicht einfach die Geschichte musikalisch erzählen, sondern mit der Musik vor allem die Gefühle der Hauptpersonen einfangen und ausdrücken, ihrer Verzweiflung, Einsamkeit und erlebten Traumata eine Stimme geben. Doch bereits während dieser ersten Phase bemerkte ich, dass mir das nicht genügte. Da Improvisation vor allem den Moment abbildet, hat sich das Märchen bei jeder Performance verändert und ein Eigenleben entwickelt.
Das hat mich zum nächsten Schritt und weiteren Gedanken gebracht. Was geschieht mit einer Geschichte, wenn die einzelnen Bausteine oder Kapitel, in diesem Fall Kompositionselemente vertauscht werden und in einer neuen Reihenfolge erzählt und gespielt werden? Wie beeinflusst das die Dynamik, da die Kompositionselemente ja bereits eine Aussage beinhalten? Unsere Erfahrung war, dass eine gemeinsame Grundstimmung erhalten bleibt. Es ergibt sich aber jedes Mal eine neue, andere Geschichte, die bei jeder Performance wieder eine vom Augenblick beeinflusste, unterschiedliche Dynamik entwickelt.
Ausgehend von 9 kompositorischen Elementen mit ihren Titeln (Unterwegs; Einfach traurig; Zerrissenheit; Zufrieden, glücklich?; Mutter; Einsamkeit; Atemlos; Leben; Die Gedanken drehen sich im Kreis) sollte, in einer neuen, anderen Reihenfolge gesetzt, eine weitere, neue Geschichte entstehen. Christine Stöckli hatte die Freiheit, diese 9 Elemente beliebig zu ordnen. Die zwei Geschichten «Waldgeist» und «Zähne zeigen» finden sich als Beispiele auf unserer CD.
«Waldgeist» (Track 10) zeigt sehr schön, wie sich diese 9 Elemente ineinanderfügen und wie die Musik durch die Erzählung beeinflusst wird. In der gemeinsamen Improvisation mit der Autorin, Christine Stöckli zeigen sich die Veränderungen und spontane Dynamik, die gegenseitige Einflussnahme und Reaktionen im Moment. Interplay zwischen Wort und Ton mit viel Fantasie, Sensibilität und Überraschungen.
In den Tracks 1 bis 9 spielt das Trio die 9 kompositorischen Elemente als einzelne isolierte Bausteine, so dass sie in beliebiger Reihenfolge gehört werden können und die Zuhörenden selbst ihre eigenen Geschichten entwickeln können. Für die Beispielgeschichte auf der CD sind die kompositorischen Elemente in der Reihenfolge der Geschichte «Zähne zeigen» von Christine Stöckli angeordnet. Beim Einspielen mussten wir die einzelnen Elemente so gestalten, dass sie trotz unterschiedlicher Metren, Tonarten und Time beliebig angeordnet, zueinander passen und sich, in unterschiedliche Reihenfolgen gesetzt, eine spannende musikalische Dynamik ergeben kann.
Die Arbeit mit Kompositionselementen steht an ihrem Anfang und bietet sehr viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Umgestaltung. Wir wollen Geschichten erzählen, immer wieder andere und neue. Mit weiteren Kompositionselementen, die vom Leben inspiriert entstehen und so unsere Musik immer wieder verändern und ihren Horizont erweitern.

Gisela Horat


Geschichten:

Zähne zeigen Christine Stöckli

(1. Unterwegs) Lene Scheu ist wie jeden Tag eine Stunde vor Öffnung des Museums schon im Haus. Sie läuft mit aufmerksamem Blick durch die Gänge und Räume, prüft, ob alle Sensoren der Alarmanlagen funktionieren, ob alle Spender mit den Infobroschüren aufgefüllt sind. Und vor allem ob die Putzequipe die Vitrinen und Schilder restlos von Fingerabdrücken und anderen Verunreinigungen befreit hat. (2. Einfach traurig) Das ist oft nicht der Fall und sie findet die Räume oft in einem traurigen Zustand vor. Doch sie hat es aufgegeben, den Museumsdirektor darauf hinzuweisen. Zu oft hat er sie belächelt mit: «Ach, Frau Scheu, meinen Sie die vielen Besucher kommen nicht mehr wegen Fingerabdrücken an den Vitrinen? Hat sich vielleicht mal jemand bei Ihnen während Ihres Aufsichtsdienstes beschwert? Unser Publikum ist an unseren Exponaten interessiert, an den einzigartigen Bildern, unserer bestechenden Innengestaltung mit ihrem hohen Nachhaltigkeitsanspruch … » und dann redet er und redet, weil er sich so gerne reden hört. (3. Zerrissenheit) Lene Scheu hört ihm jeweils nicht so lange zu, weil sie ihn nicht so gerne reden hört, denn sie findet, dass er nicht viel zu sagen hat - sondern sie sagt sich: Da muss ich ihm von den lausigen Toiletten schon gar nichts erzählen. Und so ist sie jeden Tag eine Stunde früher an Ort und Stelle, um das Schlimmste abzuwenden. Und abends, nach Dienstschluss, geht sie als letzte durchs Haus, sammelt Abfall und verlorene Gegenstände ein und ordnet, was geordnet werden muss. (4. Zufrieden, glücklich?) Das macht sie inzwischen seit 18 Jahren im Museum für angewandte Kunst. Sie hat drei Museumsdirektoren «überlebt» und freut sich jeden Tag, dass sie es in ihrem Leben doch noch geschafft hat, an einem Ort zu arbeiten, wo sie von Kunst umgeben ist. Denn als junges Mädchen träumte sie davon, Kunstgeschichte zu studieren und dann Restauratorin zu werden oder in einem Auktionshaus als Expertin zu arbeiten. (5. Mutter) Damals waren andere Zeiten. Ihr Vater war so hart, wie er arbeitete. Ihre Mutter ging stets auf leisen Sohlen. Sie war bemüht – ob aus Liebe oder Angst, hat Lene nie herausgefunden –, ihm ein behagliches Zuhause und Ruhe am Feierabend und den Wochenenden zu bieten. (6. Einsamkeit) Auch Lene ist – wie ihre Mutter – still geworden. Sie wusste bald, dass ihr Traum einer bleiben würde, und sprach deshalb auch mit niemandem darüber. (7. Atemlos) Am 11. Mai ist sie wie üblich gerade an ihrem morgendlichen Rundgang, als der Museumsdirektor in schnellen Schritten, was für ihn ungewöhnlich ist, den Gang entlangkommt. «Frau Scheu, ein Besucher hat gestern bei uns etwas Wertvolles verloren. Er hat mich soeben angerufen. Haben Sie einen Knopf gefunden? Ein goldener muss es sein, mit einem Wappenvogel drauf.» Lene erinnert sich: ja, sie hat gestern einen Knopf gefunden und ihn zu all dem anderen «Strandgut», das sie jeweils findet, gelegt. Sie erinnert sich noch, wie sie den Vogel betrachtete und sich dabei überlegte, ob er mehr wie ein Eisvogel oder ein lachender Hans aussehe. Sie händigt dem Museumsdirektor den Knopf aus und kurz darauf steht er mit dem Besucher da und macht eine flüchtige Handbewegung zu ihr hin: «Ja, also, Herr von Jägerliest, das ist also unsere Angestellte, die ihr Kleinod gefunden hat», indem er das sagt, dreht er sich schon zum Gehen um und während die beiden sich entfernen, bekommt Lene noch mit, wie er sagt, «Wissen Sie, ich halte meine Belegschaft natürlich strikt dazu an, aufmerksam auf alles zu achten und darum bemüht zu sein, dass bei uns Ordnung herrscht. Zudem hat sie als Aufsicht ja sonst nicht viel zu tun …», sind die letzten Worte, die sich in ihrer Seele festhaken. (8. Die Gedanken drehen sich im Kreis) Es ist Zeit. Lene Scheu geht an diesem Tag pünktlich nachhause. Sie spürt, wie etwas in ihr sich aufgemacht hat und sie sagt sich immer wieder: Es ist Zeit. Dass sie es mit dem lachenden Hans, auch Jägerliest genannt, getroffen hat, ist für sie ein Zeichen, eine Aufforderung, nicht mehr länger zu bleiben, wo sie nicht geschätzt wird. Es ist höchste Zeit. (9. Leben) Sie sitzt am Computer und durchforstet alle Museen der Region nach offenen Stellen: ServiceangestellteR im Café des Museums für Urgeschichte, Mitarbeitende(r) an der Kasse des Museums Fünf Kontinente, Teamleiter*in Reinigungsdienst im Krippen- und Spielzeugmuseum, Führung (w,m,d) von Gruppenbesuchen im Museum des Zahns. Lene Scheu hält inne: Museum des Zahns? Interessantes Gebiet. Sie liest die Stellenanforderung genau durch. Setzt sich wieder an den Computer, formuliert zunächst nüchtern ihre Kündigung, dann mit schöner Wortwahl ihre Bewerbung und geht schliesslich mit dem festen Entschluss zu Bett, am nächsten Tag den Museumsdirektor gleich morgens zu überraschen. Sie freut sich auf ein neues Leben: Zähne zeigen, ja, das will sie von jetzt an.

10. Waldgeist Christine Stöckli

(Einsamkeit) Sie versinkt im Schaum des Badewassers und denkt: Freitag, Wochenende, Ruhe. Es dröhnt in ihren Ohren, das Geräusch der Maschinen wirkt immer ein paar Stunden nach. Der Geruch von Motorenöl wird auch bald weichen, und der Schmerz in den Händen nachlassen. Am Freitag hat sie Frühschicht, da ist sie immer schon gegen fünf zuhause. Dann hat sie Zeit für ein Bad. Unter der Woche ist es abends zu spät, da muss eine Dusche reichen, bevor sie ins Bett fällt. Vor ihr liegt der Freitagabend, er ist jeweils lang, genau wie das Wochenende. (Die Gedanken drehen sich im Kreis) «Niemand wartet auf mich, niemand ist da, niemand kümmert sich. Aber es will auch niemand was von dir», sagt sie sich. «Du hast endlich deine Ruhe. Arbeiten, bis ich so müde bin, dass ich nur noch meine Ruhe will? So werde ich nie jemanden finden. So abgekämpft wird auch niemand mich wollen. Niemand ist da, niemand …» (Einfach traurig) Ihr Kopf ist leer. Ihr Herz auch. Sie weiss nicht, wie sie etwas ändern kann. Das macht sie matt und traurig. (Unterwegs) Sie schliesst die Augen und spürt, wie das Wasser ihre schweren Glieder aufnimmt, sie trägt, obwohl sie sinken, und sie dazu bringt, noch mehr loszulassen. Sie atmet tief ein und weiss, gleich kommt dieser Schwebezustand, in dem sie sich wie ein Wesen fühlt, das nichts denkt, nichts weiss. Das Plätschern des Baches klingt wie ein flüsterndes Musikstück. Ein Windhauch streichelt ihr Gesicht. Sie nimmt im Augenwinkel Bewegungen wahr, Schatten, die sich da und dort verspielt jagen, Kreise formen, einem Rhythmus folgen, den sie nicht ergründen muss. (Atemlos) Der Wind wird stärker und lässt die Blätter rauschen – sie horcht und holt Luft im Rhythmus mit den Wellen, die durch die Bäume gehen. Immer schneller, so dass sie wilden Herzschlag spürt. Das Rauschen und die aufsteigende Panik überfallen sie seit ein paar Wochen – woher sie nur kommen? (Zerrissenheit) Sie schafft es, sich zu beruhigen. In Gedanken versunken, bleibt ihr Blick an einem bemoosten Baumstamm haften. Sie stockt: etwas schaut sie an, sie erkennt zwei Augen, eine Zeichnung in der Baumrinde, die ein Gesicht formt. Sie schüttelt den Kopf: «Deine Phantasie wieder mal, du wirst langsam eigenartig.» Doch da hört sie eine sanfte Stimme - oder ist es doch der Wind, der pfeift und die knorrigen Stämme zum Ächzen bringt? (Mutter) «Ruh Dich aus. Du hast es verdient», hört sie. Und weiss nicht, kommt es von aussen oder hört sie die Stimme ihrer Mutter, die ihr früher immer gut zugeredet hat. «Ruh Dich aus, die Energie kommt schon wieder zurück», so kommt und geht es, wie im Kanon, mal ein Murmeln, mal ein Flüstern, mal ein Summen. (Leben) Sie weiss nicht, ob sie selbst weiterläuft oder bewegt wird, der Waldboden muss sehr weich sein, denn sie spürt nichts unter den Füssen. Aber der Blick, der ihr folgt und auf ihrem Rücken ruht, wärmt und stärkt sie. Der Wind hat nachgelassen und nun hört sie Vögel, die ihre einfachen Tonabfolgen singen, immer wieder die gleichen. Sind es Fragen und Antworten? Sind es Grussformeln, Kosenamen oder Scherze? (Zufrieden, glücklich?) Sie wird, auch ohne das Rätsel zu lösen, heiter und leicht. Holt wieder mit einem tiefen Seufzer Luft und atmet den Duft von feuchter Erde, Tannennadeln und Harz ein, der sie in Trance versetzt. Und weiter versinken lässt – bis sie bis über die Nase unter Wasser ist und wie aus einem Traum erwacht, sich leicht hochkämpft und denkt: Dieses Bademittel namens «Waldgeist» hat es einfach in sich.

credits

released September 1, 2023

Gisela Horat Trio: Gisela Horat (p, comp) Simon Iten (db) Samuel Büttiker (dr, perc)

Track 10: featuring Christine Stöckli (voc, lyr)

Alle Kompositionen Gisela Horat
Geschichten „Waldgeist“ und „Zähne zeigen“ Christine Stöckli


Recorded the 19th and 20th November 2022 at Gabriel Recording, Stalden


Recorded and mixed by Roli Mosimann
Mastered by Dan Suter, echochamber
All photos by Oliver Jaeschke
Design by anja-wild.ch

Unterstützt durch Cassinelli Vogel Stiftung, Dätwyler Stiftung

license

all rights reserved

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about

Gisela Horat Zürich, Switzerland

Growing up in a small mountain village in Switzerland, embedded in a musical environment, the pianist Gisela Horat started her career with a traditional classic piano education. She developed over this period the desire to write and play her own compositions.
Due to improvisation the music sounds different each time and moves somewhere between pop, jazz and minimal music
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